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„Wir sind noch da, wir leben, kämpfen und fighten!“

„Wir sind noch da, wir leben, kämpfen und fighten!“

Wer am vergangenen Samstagabend nicht in der Rundsporthalle war, hat etwas verpasst. Klar, die offiziellen Spielberichte sind längst raus und inzwischen hat auch der Letzte vom sechsten Zähler auf unserem Konto erfahren. Doch das war mehr als ein Spiel, mehr als ein Unentschieden und mehr als ein Punkt. Vom viel zitierten geplatzten Knoten möchten wir nicht sprechen, wohl aber von einem Befreiungsschlag. Hier das Ganze noch einmal aus einem etwas anderen Blickwinkel.

Unser in dieser Saison inzwischen gewohntes Muster sieht so aus, dass wir gut starten und dann irgendwann - möglichst erst in der zweiten Halbzeit - die Kraft oder die Nerven verlieren. Doch diesmal warteten der HSC 2000 Coburg sowie ihre mitgereisten Anhänger bis zuletzt vergeblich auf den Moment, in dem sich das Blatt einmal mehr wenden sollte - zu Ungunsten der Nordhessen. Diese hatten mit 3:1 Toren vorgelegt, fanden sich aber kurze Zeit später bei 3:9 wieder. Der Anfang vom Ende? Nein. Denn wenn sich die Baunataler in einem treu geblieben sind, dann in Sachen Kampfgeist. Nach und nach kämpften sich die Nordhessen wieder heran und mit dem Treffer zum 18:18-Ausgleich durch Felix Geßner war es geschafft. Bis zuletzt marschierte man im Gleichschritt in Richtung Schlusspfiff. Doch dann ging es erst richtig los, die Schlussphase hatte es in sich.

Noch 90 Sekunden sind zu spielen, der Spielzug beginnt...bis der Ball plötzlich andere Pläne hat und sich bei einem missglückten Pass spontan verabschiedet. „Jetzt ist es passiert", denkt der leidgeprüfte Zuschauer. Doch weit gefehlt, Max Kroll pariert die potentielle Spielentscheidung und bringt seine Mannen somit erneut in Ballbesitz. Den zweiten Anlauf unterbricht der Pfiff zum Team-Timeout der Gastgeber und strapaziert die Nerven des Publikums noch zusätzlich. Es geht weiter, noch 30 Sekunden. Nun stehen die Nordhessen mit sieben Feldspielern bereit, Andreas Bornemann trägt das Leibchen. Er ist es auch, der Sekunden später unerwartet, aber nervenstark, die Vorlage von Phil Räbiger (6 Tore) verwandelt und so für das 24:24-Unentschieden sorgt. Endstand? Nicht so hastig. Denn Coburg erreicht den Ball noch rechtzeitig, um ihn noch einmal gezielt in Richtung Tor zu befördern. Dort empfängt ihn allerdings nicht einer unserer Keeper, sondern Dennis Weinrich. Eine erfolgreiche Parade, dennoch nicht regelkonform. Der Einspruch der Gäste nachvollziehbar, die spontane - nennen wir sie mal - Wanderung des aufgebrachten Trainers auf dem Spielfeld in Richtung Schiedsrichter allerdings nicht. Es folgen fast zwei Minuten bangen Wartens. Paul Gbur (7 Tore) leistet bereits Hilfestellung und führt den Unparteiischen die Geste, die sie nun bitte geben sollen, mehrmals vor. Abpfiff und damit Punkteteilung, los! Für Christian Schade (Foto) hingegen scheint der Ausgang der Situation irrelevant zu sein, er strahlt bereits jetzt wie nach einem Sieg.

Sekunden später ist es soweit, der erwartete Siebenmeter für Coburg bleibt aus und der Jubel auf und neben der Platte ist groß. Paul Gbur springt auf Phil Räbiger, Felix Geßner und Dennis Weinrich tanzen gemeinsam durch den Torraum und Max Kroll weiß gar nicht wohin mit seiner Freude, galoppiert erst einmal in großem Bogen über das Spielfeld und begräbt schließlich den Torschützen mit der 29 unter sich. Dieser begrüßt den Verlauf der Partie ebenfalls, nachdem er sich wieder aufgerappelt hat: „Der Punkt selbst ist für uns ja nicht mehr ausschlaggebend. Doch dieses Gefühl, das heute damit einhergeht, ist dafür umso wichtiger! Schon gegen Aue haben wir eine sehr deutliche Steigerung unserer Leistung gezeigt und heute noch eine Schippe drauf gelegt. Genau so müssen wir auch die kommenden Spiele angehen." Räbiger ist jemand, der sich eher still freut, doch auch beim Rückraumhünen ist die Begeisterung riesig: „Der Punkt gegen Coburg fühlt sich natürlich wie ein Sieg an, endlich wieder ein Erfolgserlebnis! Nach einem deutlichen Durchhänger konnten wir zuletzt immer wieder gute Phasen zeigen. Dass es jetzt vor eigenem Publikum in unserer Rundsporthalle geklappt hat, ist umso schöner." Max Kroll ist ebenfalls zufrieden mit der gezeigten Vorstellung: „Über das gesamte Spiel gesehen haben wir gekämpft und uns nie aufgegeben. Ein wichtiger Faktor war Consi, der uns mit wichtigen Paraden in der zweiten Halbzeit überhaupt am Leben gehalten hat. Ich hingegen kam gar nicht recht in die Partie hinein und hatte viele unglückliche Bälle. Ich war zwar oft dran, doch dann sind sie irgendwie doch noch reingetrudelt. Aber wie sagt man so schön: ‚Einen guten Torwart erkennt man daran, dass er in der entscheidenden Phase die Bälle hält', was ja dann - Gott sei Dank - auch der Fall war." Die entscheidende Szene musste der Berliner allerdings von der Außenlinie aus mit ansehen. „Die letzten 30 Sekunden waren mehr als Spannung pur. Und dann sehe ich nur noch, wie die Coburger den Ball in Richtung Tor werfen. Von der Leistung her ist die Punkteteilung meiner Meinung nach gerecht. Uns ist damit eine riesige Last von den Schultern gefallen, nach den schweren letzten Wochen."

Marvin Gabriel musste die kleine Sensation krankheitsbedingt von der Bank aus erleben: „Von außen ist das sehr aufreibend, man kann nur zugucken und selbst nichts machen." Doch auch für ihn hat dieser kleine Sieg eine enormen Bedeutung: „Das war auf jeden Fall unerwartet und ist total klasse für die Moral, ganz wichtig für uns alle!." Aus den Lautsprechern ertönt „Ooh wie ist das schön", das Publikum steht und applaudiert noch immer und es folgt eine Welle sowie der Applaus der Mannschaft zurück an den achten Mann, der heute diese Bezeichnung mehr als verdient hat. Das hat auch Räbiger registriert: „Unser Publikum war bemerkenswert. Mich freuen die Zuschauer, die noch immer zu unseren Spielen kommen, besonders. Ich spiele auch gerne vor 400 Zuschauern, die wirklich hinter uns stehen". Das Kompliment geben wir gerne an die Fans weiter, denn was diese heute Abend geleistet haben, kann sich zweifelsohne „Unterstützung" nennen. Über sechzig Minuten waren sie da und haben unser Team bis zuletzt nicht alleine gelassen, vielen Dank dafür!

Selten löste ein Unentschieden solche Emotionen aus. Doch wie die Reaktion des Kapitäns bereits vor Verkündung des Punktgewinnes zeigte, war der Zähler nicht für das Konto so immens wichtig, sondern für die Seele. „Ich finde, dass dieser Punkt nach dieser langen Zeit und den Problemen, die wir ja aktuell immer noch durchmachen, gar nicht hoch genug einzustufen ist. Wir haben die ganze Zeit zusammengehalten. Auch die Art und Weise, wie wir uns wieder in das Spiel gekämpft haben, macht mich sehr stolz. Und das können auch alle beteiligten sein. Das war Eintracht!", bringt es Schade auf den Punkt.

Und das ungeachtet der Möglichkeit, dass die Gäste in den kommenden Tagen wohl die Entscheidung der Schiedsrichter anfechten würden. Den Zähler im Nachhinein wieder zu verlieren, schmerzt uns nicht. Doch das Selbstbewusstsein, welches diese Partie durch die gezeigte geschlossene Mannschaftsleistung mit sich brachte, kann uns kein Schiedsgericht der Welt mehr nehmen. Dass sie es „doch noch können", haben die Schützlinge von und mit Markus Berchten den Zuschauern und vor allem sich selbst mehr als bewiesen. Und nicht gegen einen Mitbewohner des Tabellenkellers, sondern im direkten Duell mit dem Siebtplatzierten. Die längst Totgesagten können immer noch Handball spielen und, wenn alles passt, sogar mit dem oberen Tabellendrittel mithalten. Entsprechend deutlich fielen auch die abschließenden Worte des Trainers im anschließenden Pressegespräch aus, die er an das Heimpublikum richtete. „Wir sind noch da, wir leben, kämpfen und fighten. Und das jeden Tag, für uns und auch für euch, um euch so wie heute Spaß zu bereiten! [...] Gemeinsam wollen und werden wir die Saison erhobenen Hauptes beenden." [gsv/ch]

Foto: Stefan Schmidt / publishartist.de